21st century

21st century Well-Being: Der Weg in die Ablenkung


Mit der Publikation des dritten Jugendberichts konnten das Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend sowie die Universität Luxemburg unterstreichen, dass die Jugendlichen hierzulande ihr Wohlbefinden insgesamt als „hoch“ einstufen. Wenig verwundert, dass Jugendliche aus finanziell und sozial begünstigten Verhältnissen ihre Situation besser einschätzen, als junge Menschen aus prekären Milieus. Die Forscher weisen hierbei ausdrücklich darauf hin, dass es sich um das subjektive Einschätzen des eigenen Empfindens handelt.

Zu wissen, wie es mir wirklich geht, ist verhältnismäßig schwer. Wirklich in sich hinein horchen, die eigenen Bedürfnisse und Vorlieben wahrnehmen und erkennen, und noch dazu den Bezug zur Gesamtsituation zu berücksichtigen, dies verlangt nach einem ordentlichen Fokus auf das eigene Selbst. 

Dass wir uns im Alltag dabei sehr schnell von diesem Fixpunkt entfernen, wird auch im Bericht deutlich. Wohlbefinden wird von den meisten Jugendlichen mit klassischen Kategorien beschreiben: Gesundheit, soziales Miteinander, Familie und Freunde, materielle und finanzielle Vorteile, Freizeit, Sicherheit und auch Glück und Zufriedenheit. Natürlich sind dies die grundlegenden Erwartungen, die wir an Wohlbefinden stellen. Doch da das eigene Wohlbefinden etwas sehr Persönliches, Subjektives und Individuelles ist, verwundert es, dass dies anhand von objektiven, allgemeinen Kriterien eingeschätzt werden soll. Sehr oft ist das eigene Wohlergehen nämlich tatsächlich gerade nicht an die Erfüllung solcher Aspekte gekoppelt: Ich kann genug zu essen haben, doch da das Essen nicht schmeckt, geht es mir nicht gut. Ich kann in einer schäbigen Hütte im Wald leben, abgeschieden, ohne Strom und fließend Wasser, und fühle mich blendend. Es darf mir auch nicht gut gehen, wenn alle Kriterien der eben genannten Wohlbefindlichkeitsskala abgehakt werden können. Es kann mir aber auch gut gehen, obwohl die Gesellschaft meine Situation als problematisch ansieht. Die gesellschaftliche Konzeption von dem, wie mein Ergehen eingeschätzt werden soll, ist demnach kein gültiges Maß. Die Distanz zwischen dem wirklichen Ich und dem, wie Wohlbefinden allgemein gesehen wird kann so nicht überbrückt werden.

Die momentane Situation macht es schwer, sich auf die eigenen Bedürfnisse zu berufen, werden wir doch stets mit Bildern konfrontiert, die vor „Well-Being“ und „Good-Life“ nur so triefen. Instagram und Co. leben davon, dass Vorstellungen und Ideale geschaffen werden, die für die Usern anstrebenswert erscheinen und inspirierend konsumiert werden. So findet man die absolute Inszenierung: Zahlreiche Beiträge zeigen glückliche, erfolgreiche Menschen, im perfekten Sonnenuntergang, mit der perfekt gegrillten Aubergine, inmitten von Freunden und Familie. Dazu gibt es „Healthy-Lifestyle-Tipps“ und motivierende Bilder von sonntäglichen Lauftrainings. Die Nachricht ist deutlich: Wenn dies und jenes auf dich zutrifft, dann hast du es geschafft, dann fühlst du dich wohl. In der ungefilterten Realität scrollt man sich dadurch und fragt sich, was mit einem bloß nicht stimmt? Warum bin ich nicht so? 

Entweder entsteht dann Ansporn, diesen Idealen auch zu entsprechen oder Frust, weil man sich hoffnungslos überfordert spürt. Problematisch sind hierbei zweierlei: Erstens, dass die Werte, denen man nacheifert, von „außen“ stammen und nicht aus dem eigenen Empfinden entstehen. Das Risiko ist groß, dass auch das Erreichen des gehypten Meilensteins nicht die ureigenen Bedürfnisse stillt. Es bleibt die schöne Ablenkung und Inszenierung, die man mit dem nächsten Beitrag im sozialen Netz dann doch feiert – und sich drängend weiter darum bemüht, der Idee des guten „Lifestyles“ zu entsprechen. Zweitens ist es für manche Menschen schwer, sich diesen Trends anzuschließen. Nicht nur, aber auch, weil die finanzielle Situation es gar nicht erlaubt, sich mit tollen neuen Kleidern einzudecken, gesundes Bio-Essen zu kaufen, eine fantastische Reise zu machen oder einfach genug Zeit zu haben, um sich überhaupt um sich kümmern zu können. Mittellosigkeit oder schwierige soziale Verhältnisse passen so gar nicht in das Bild des „21st-century well-being“, dass uns auf zahlreichen Kanälen vorgelebt wird. Der Eindruck, dass die eigene Situation verfahren ist, wird dadurch um ein weiteres Mal gestärkt; der Abstand zwischen mir und den Anderen wird ständig größer. Dass auch die Anderen das eigene Wohlbefinden eher in Statussymbolen oder im Verfolgen von Trends suchen, zeigt ebenfalls auf die verzerrte Konzeption von Wohlbefinden hin ­– geht es uns tatsächlich gut, oder haben wir verlernt, was das persönliche Wohlbefinden eigentlich ist? Verstecken wir uns in Ablenkung, in einer von uns geschaffenen Idealwelt? Darf es uns auch mal schlecht gehen, auch wenn das Bild des zufriedenen, „angekommenen“ Individuums dann getrübt ist? Gehört die  unglückliche Erfahrung nicht notwendigerweise zum Leben dazu?

Selbstverständlich ist der Jugendbericht nicht der richtige Platz, um dieses Thema ausführlich zu behandeln und es war auch nicht dessen Anliegen. Allerdings gibt der Bericht Anlass dafür, die Ergebnisse kritischer zu betrachten, weitere Fragen zu stellen und Reflexionen zu führen, die dem nur scheinbar simplen Konzept des „Well-Being“ der Jugendlichen in Luxemburg Rechnung tragen.

www.jugendbericht.lu