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Wem gehört unsere Mobilität – uns Bürgern oder den Märkten?

Jenseits der Gewinnzone

Der öffentliche Transport zwischen Gemeinwohl, politischen Visionen und unsicherer Zukunft.

Ist Mobilität ein fundamentales Bürgerrecht  oder bloß ein Wirtschaftsgut, das man wie ein Werkzeug nutzt und wieder ablegt? Soll es den Bürgerinnen und Bürgern verlässlich dienen, oder privaten Unternehmern Renditen sichern? Welche Zukunftsperspektiven braucht der Sektor, damit er für potentielle Arbeitnehmer weiterhin attraktiv bleibt? Was genau soll die Mobilität überhaupt leisten können und was sollte uns dies wert sein? Einige von vielen Fragen, die längst nicht nur technischer oder organisatorischer Natur sind, sondern das Selbstverständnis unserer Gesellschaft berühren.

Im öffentlichen Diskurs erscheint der öffentliche Transport häufig als Relikt sozialstaatlicher Utopien. Als Luxemburg 2020 den kostenlosen öffentlichen Nahverkehr einführte, wurde dies als soziale Errungenschaft gefeiert. Naturgemäß warnten Gewerkschaften und andere Bedenkenträger vor möglichen Folgen. Sicherheitsbedenken, Serviceabbau, Privatisierung kommunaler Dienste etc. François Bausch, der damalige politische Verantwortliche, wisch dies als Unbegründet vom Tisch, versprach Stabilität – und bekam für seine Vision Applaus.

Die Utopie wich langsam Nüchternheit

Heute zeigt sich: Die Sicherheitslage verschlechterte sich, Dienstleistungen[1] und Arbeitsbedingungen[2] gerieten unter Druck. Beschäftigte verlassen den Sektor. Zuletzt haben die Kommunen des Transportsyndikats TICE die Verantwortung dem Staat überlassen. Linien fallen aus. Protestveranstaltungen der Mitarbeiter sind inzwischen keine Ausnahme mehr ein Zustand, den es dort so noch nie gab. Private Betreiber suchen unter Schwierigkeiten Personal bis weit in die Grenzregionen hinein, während im kommunalen Sektor kaum noch Fahrer im Beamtenstatut eingestellt werden, was sich negativ auf die Rekrutierung auswirkt. Im Hintergrund wirken seit Jahren Kräfte, denen kommunale Beamte im Sektor ein Dorn im Auge sind. Die Unsicherheit wächst – und mit ihr die Frage: Welcher Arbeitnehmer will sich unter solchen Bedingungen dort noch eine berufliche Zukunft aufbauen? Um den Herausforderungen der Zeit Rechnung zu tragen, muss überproportional viel investiert werden. Und das bei sich leerenden Kassen. Das kann nicht die echte Verbesserung sein, von der die aktuelle Mobilitätsministerin Yuriko Backes einmal sprach.

Mobilität: Bürgerrecht oder Wirtschaftsgut?

Um eine Antwort zu finden, muss man sich diese Frage zuerst einmal stellen und erkennen, was sie bedeutet. In Zeiten wachsender sozialer Ungleichheiten, fortschreitender Verarmung, Klimawandel und leerer Kassen wird Mobilität immer stärker zu einer sozialen Infrastruktur. Daraus leitet sich ab, dass sie kein reines Wirtschaftsgut ist, kein pures Anpassen der notwendigen Infrastruktur an die lokalen Begebenheiten, keine bloße Datenerhebung von Nutzern zur Bereitstellung maßgeschneiderter Angebote, wie es die Studie Luxmobil 2025 und der Mobilitätsplan 2040 sind. Es geht weit darüber hinaus. Auch, wenn viele es nicht so sehen wollen, es ist oder wird sehr bald ein Bürgerrecht. Die Daten von EU-SILC[3] besagen, dass der Anteil der Haushalte mit mindestens einem PKW in Luxemburg zwischen 2018 und 2023 um 5,3% sank, hauptsächlich in städtischen Regionen, während sie auf dem Land relativ stabil blieben. Die Folge, wenn der Trend anhält: Immer mehr Menschen werden innerstädtisch auf den öffentlichen Nahverkehr zurückgreifen. Auf dem Land könnte die Nachfrage steigen, wenn das Angebot stimmt. Die Nutzer müssen sich auf eine Dienstleistung verlassen können, von der sie bereits abhängig sind oder sein werden.

Zwischen Technikgläubigkeit und Realität

In der Folge kommt man nicht umher, Mobilität als ein Recht anzusehen. Hier spielen im Besonderen die Beschäftigten im Sektor eine kruziale Rolle, die immer schwerer zu finden sind. Bis Autonomes Fahren[4] flächendeckend im regulären Dienst eingesetzt wird, vergehen noch ein bis zwei Jahrzehnte. Infrastruktur, Sicherheit, öffentliche Akzeptanz – all dies muss noch aufgebaut werden und kostet Milliarden. Angesichts immer leererer Kassen … haben wir das Thema «sozialstaatliche Utopie» nicht bereits erwähnt? Der Fall TICE zeigt, wie schnell übertriebene Vorstellungen und extravagante Anforderungen die Kosten in ungeahnte Höhen treiben, während auf der anderen Seite Gemeinden an den öffentlichen Transport angebunden sind, ohne an den Kosten beteiligt zu sein. Was, wenn auch der Staat irgendwann nicht mehr kann oder will?

Bevor der autonome Robo-Bus irgendwann übernimmt, sollte man sich über zwei Dinge im Klaren sein: Die Abhängigkeit von privaten Tech-Konzernen kann den Verlust kommunaler/staatlicher Kontrolle bedeuten, mit teuren Folgen. In der Zwischenzeit und auch danach wird man noch länger gut ausgebildete Beschäftigte brauchen. Doch, wer will in einem Sektor arbeiten, der keine oder unsichere Zukunftsperspektiven bietet? Bemerken Sie es? Wir drehen uns im Kreis. Es stellen sich zu viele Fragen, auf die es keine oder nur unzureichende Antworten gibt. Ohne Sozialdialoge, die diesen Namen verdienen, werden wir es auch weiterhin tun.

Ende der Neunziger wurde die englische Bahn privatisiert. Resultat: Zersplitterung in zahlreiche private Betreiber, Zugausfälle, höhere Kosten, Sicherheitsprobleme. Die beschlossene Rückführung unter staatliche Kontrolle kostet Unsummen.

Kommunale oder private Dienstleistung?

In der Klimakrise kommt dem öffentlichen Personennahverkehr eine Schlüsselrolle bei der ökologischen Transformation zu. Doch allzu oft wird er als Kostenfaktor betrachtet, der sich «rechnen» muss. Die politische Volatilität auf EU-Ebene in Sachen Elektromobilität verstärkt dies nur noch. Privatisierung gilt manchen als Lösung. Private Anbieter versprechen Effizienz, Flexibilität und Entlastung öffentlicher Haushalte. Doch Studien zeigen ein anderes Bild: Angebotsausdünnung, Tarifsteigerung (in Luxemburg wegen des Gratistransport über Zuwendungen aus dem Staatshaushalt), Sicherheitsaspekte, Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern und sinkende Nutzerfreundlichkeit sind häufige Folgen. Einiges davon sehen wir bereits in Luxemburg. Periodische Leserbriefe in den Tageszeitungen berichten davon.

Der deutsche Bundesrechnungshof warnte 2020 vor „strukturellen Defiziten“ bei ausgelagerten Verkehrsleistungen. Die OECD mahnt in ihrem Bericht Urban Transport Governance (2023) zur „Stärkung lokaler Entscheidungskompetenz“ und warnt vor „Fragmentierung durch übermäßige Marktöffnung

Alle Anstrengungen sind umsonst, wenn Nutzerinnen und Nutzer das Gefühl haben, sich auf eine Dienstleistung nicht verlassen zu können. Deshalb liegt die Lösung nicht im Entweder-oder. Konkurrierende Systeme beleben das Geschäft. Kommunale Strukturen wirken verlässlich, weshalb man ihnen die Grundversorgung überlassen sollte. Private Busunternehmen sind flexibel, da ihr Hauptgeschäftsfeld in Luxemburg Reisen sind, weshalb man sie im ÖPNV genau dort einsetzen sollte, wo Flexibilität gefordert ist. So erreicht man im Idealfall die flexible Verlässlichkeit, die man braucht, um noch mehr Menschen vom öffentlichen Transport zu überzeugen. Welche Standards im Einzelnen gesetzt werden müssen, sollte über Sozialdialoge geregelt werden. Modelle wie die von einzelnen Verkehrsbetrieben in Deutschland und der Schweiz (zbs. Ulm, Zürich) – mit hoher Nutzerzufriedenheit und ökologischer Wirkung – zeigen jedenfalls, dass es möglich ist. Wenn man es nur will.

Fazit: Ein demokratisches Gut

Der öffentliche Transport wird aus Steuermitteln finanziert – er gehört uns allen. Nutzerinnen und Nutzer haben ein Recht darauf, dass er funktioniert und verlässlich ist. Die Beschäftigten sind der Garant für die Mobilität von Hunderttausenden. Sie verdienen faire Arbeitsbedingungen, Planungssicherheit und Mitbestimmung. Neue Technologien müssen den Menschen dienen, nicht sie ersetzen oder demokratische Kontrolle untergraben. Wer dies durch politische Entscheidung zulässt, riskiert nicht nur Zukunftsfähigkeit – sondern auch ein Stück Demokratie.

Für die FGFC-Redaktion

Patrick Gengler, Autor und Publizist