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"Ki" im Gemeindesektor: Glänzende Algorithmen, bröckelnde Fundamente

Zwischen Fortschritt und Verantwortung – Algorithmen ersetzen keine Gemeindebediensteten

 

Nach unserer rezenten Pressemitteilung zur „Personaleinsparung durch KI“ greift die FGFC das Thema der künstlichen Intelligenz im Gemeindesecteur erneut auf – diesmal aus einer bewusst erweiterten, humanistischen Perspektive. Denn jenseits der oft verkürzten Frage, ob KI Arbeitsplätze gefährdet oder Personal ersetzen kann, stellt sich eine grundlegendere: Welche Art von Digitalisierung wollen wir in unseren Gemeinden – und zu welchem Preis?

Die öffentliche Debatte konzentriert sich derzeit stark auf Effizienz, Automatisierung und Einsparpotenziale. Diese Sichtweise greift aus gewerkschaftlicher Perspektive zu kurz. Technologie – und insbesondere KI – ist kein isoliertes Werkzeug, sondern Teil einer umfassenden infrastrukturellen, finanziellen, sozialen und ökologischen Realität. Wer über KI spricht, muss daher auch über Kosten sprechen: über IT-Budgets, über Arbeitsverdichtung, über Qualifikationsdruck – und über den ökologischen Fußabdruck digitaler Systeme.

Als Gewerkschaft des Gemeindepersonals will die FGFC das Thema bewusst anders belichten: nicht aus der Logik der Einsparung, sondern aus der Perspektive der Beschäftigten, der öffentlichen Verantwortung und des Gemeinwohls. Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein – und KI kein Argument, um strukturelle Defizite im Gemeindesecteur zu kaschieren oder auf dem Rücken des Personals auszutragen.

 

KI ist kein Zauberstab – sie ist Infrastruktur

KI wirkt oft immateriell: ein Klick, ein Text, eine automatische Zusammenfassung. Doch hinter jeder Antwort stehen Rechenzentren, Netze, Server, Kühlung, Wartung – und damit ein realer Ressourcenverbrauch. Der steigende Energiebedarf digitaler Infrastrukturen ist kein abstraktes Zukunftsproblem, sondern bereits heute messbar. Jede zusätzliche „smarte“ Funktion hat einen ökologischen Preis, der in klassischen Projektbudgets selten sichtbar wird.

Gerade im öffentlichen Dienst stellt sich deshalb die Frage der Vorbildfunktion. Gemeinden tragen Verantwortung – nicht nur für effiziente Abläufe, sondern auch für nachhaltiges Handeln. Wer KI einführt, muss sich ehrlich fragen, ob der Nutzen im Verhältnis zu Energieverbrauch, CO₂-Ausstoß und langfristigen Kosten steht.

 

Der enorme Kostenpunkt der Informatik – und die Illusion der Einsparung

  • Digitalisierung wird häufig mit dem Versprechen verkauft, Kosten zu senken. In der Realität verlagern sich diese Kosten – und wachsen nicht selten.
  • Lizenz- und Cloudmodelle erzeugen dauerhafte Abhängigkeiten und wiederkehrende Ausgaben.
  • Hardware und Infrastruktur benötigen Investitionen, Wartung und spezialisiertes Personal.
    Datenmanagement bedeutet Arbeit: strukturieren, prüfen, sichern, archivieren, löschen – oft zusätzlich zur bestehenden Tätigkeit.

Diese Arbeit verschwindet nicht. Sie landet bei den Beschäftigten. Wenn gleichzeitig von „Personaleinsparung durch KI“ gesprochen wird, entsteht ein gefährlicher Widerspruch: weniger Personal, aber komplexere Systeme. Das Ergebnis ist nicht Effizienz, sondern Überlastung.

 

Der blinde Fleck: Archivierung im „Mittelalter“

Besonders deutlich wird diese Diskrepanz beim Thema Archivierung. Während über KI-gestützte Analyse, automatische Klassifikation und intelligente Suche diskutiert wird, agieren viele Kommunen faktisch noch im vorindustriellen Zeitalter der Informationsverwaltung.

Akten liegen unsortiert in Kellern oder auf Dachböden. Bestände sind unvollständig, feucht, beschädigt oder schlicht nicht erschlossen. Metadaten fehlen, Ablagepläne sind historisch gewachsen – oder nie konsequent umgesetzt worden. In manchen Fällen existiert nicht einmal ein vollständiger Überblick darüber, was überhaupt vorhanden ist. 

Hier stellt sich eine simple, aber zentrale Frage: Worauf soll sich moderne Technologie stützen, wenn die Grundlagen fehlen?

KI lebt von strukturierten, zugänglichen, qualitativ gesicherten Daten. Wo Dokumente physisch verstreut, analog und ungeordnet lagern, kann keine noch so „intelligente“ Software Wunder wirken. Wer KI auf ein solches Fundament setzt, baut kein digitales Rathaus – sondern ein Kartenhaus.

Bevor über Automatisierung und KI gesprochen wird, braucht es Investitionen in das scheinbar Unattraktive: Ordnung, verbindliche Archivstandards, die Digitalisierung von Altbeständen und klare Zuständigkeiten. Diese Grundlagenarbeit ist arbeitsintensiv, teuer und wenig spektakulär – aber unverzichtbar.

 

Gemeindesyndikat SIGI in der Verantwortung

Genau hier steht das Gemeindesyndikat SIGI als kommunaler Informatikgestionar in der Verantwortung. Zwar ist anzuerkennen, dass sich mit dem geplanten Pilotprojekt zum digitalen Posteingang in rund einem Dutzend Gemeinden erstmals konkret etwas bewegt. Doch dieser Schritt reicht bei Weitem nicht aus.

Was weiterhin fehlt, ist ein flächendeckendes, einheitliches, praxistaugliches und kostengünstiges System für alle Gemeinden. Solange dies nicht geliefert wird, bleibt die Diskussion über KI und Effizienz Stückwerk – ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Alltag des Gemeindepersonals ist weiterhin geprägt von Provisorien, Insellösungen und Aktenbergen im Keller. Der Weg zu einer wirklich digitalen Verwaltung liegt noch deutlich vor uns – und er ist steil.

 

Humanistische Leitplanken für den Einsatz von KI

  • Aus gewerkschaftlicher Sicht braucht der Einsatz von KI im Gemeindesecteur klare Grenzen und Prinzipien:
  • Technologie darf unterstützen, nicht entmündigen. Verantwortung bleibt beim Menschen.
  • Automatisierung darf nicht zur stillen Leistungsverdichtung führen.
  • Digitalisierung braucht Mitbestimmung. Beschäftigte müssen eingebunden sein – nicht nur als Anwender, sondern als Expertinnen und Experten ihrer Arbeit.
  • Qualifizierung ist Arbeitszeit. Neue Systeme ohne Zeit und Schulung sind kein Fortschritt.
  • Nachhaltigkeit und Datenschutz sind keine Zusatzoptionen, sondern Kernaufgaben öffentlicher Verwaltung.

 

Fortschritt beginnt nicht mit KI, sondern mit Haltung

KI kann ein sinnvolles Werkzeug im Gemeindesecteur sein – wenn sie auf realistischen Grundlagen, ehrlicher Kostenrechnung und klaren sozialen Leitplanken eingesetzt wird. Sie ist kein Ersatz für fehlende Personalpolitik, keine Abkürzung um jahrzehntelange strukturelle Versäumnisse und kein Argument, um Arbeitsplätze infrage zu stellen.

Solange Akten in Kellern verstauben und Archive aus allen Nähten platzen, bleibt jede Vision einer „intelligenten Verwaltung“ leere Rhetorik. Echter Fortschritt beginnt nicht mit Algorithmen, sondern mit Ordnung, klarer Verantwortung und dem Respekt vor jener Arbeit, mit der Gemeindebedienstete den Verwaltungsalltag tagtäglich aufrechterhalten. Umso bemerkenswerter ist, dass sich diese angeblich zentrale Herausforderung in den meisten Gemeindebudgets kaum widerspiegelt – ohne klare politische Priorisierung, ohne transparente Mittelzuweisung und ohne eindeutige finanzielle Bekenntnisse zu Archivierung und digitaler Grundinfrastruktur.

Ohne Investitionen in Grundlagen, Personal und Verantwortung wird KI nicht zum Werkzeug des Gemeinwohls, sondern zum Symbol einer Digitalisierung, die an der Realität der Gemeinden vorbeigeht.

 

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